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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 11.05.2007
Aktenzeichen: 8 U 73/06
Rechtsgebiete: TA, SGB XI
Vorschriften:
TA § 1 | |
TA § 1 Abs. 2 | |
TA § 1 Abs. 2 Hs 2 | |
TA § 1 Abs. 3 | |
TA § 1 Abs. 3 S. 2 | |
TA § 1 Abs. 4 | |
TA § 1 Abs. 9 lit. b) | |
SGB XI § 15 |
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Lt. Verkündungsprotokoll verkündet am: 11.05.2007
In dem Rechtsstreit
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2007
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.07.2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichtes Schwerin - Az.: 4 O 129/06 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert beträgt 10.365,74 EUR.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem zwischen den Parteien bestehenden Rahmenteilungsabkommen (im Folgenden: TA). Die Vorschrift des § 1 Abs. 9 lit. b) TA sieht in den der Allgemeinen Haftpflichtversicherung unterliegenden Fällen eine pauschale Regulierung mit einer Quote von 45 % vor. Die Klägerin hatte in 5 Fällen unfallbedingte Behandlungskosten für pflegebedürftige Heimbewohner aufzuwenden, die jeweils in einem Pflegeheim gestürzt waren und sich dabei erheblich verletzt hatten. Sie nimmt die Beklagte als jeweilige Betriebshaftpflichtversicherung aus dem TA auf Ersatz von 45 % der unfallbedingten Behandlungskosten in Anspruch. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung macht die Beklagte geltend, das Landgericht habe die Anwendungsvoraussetzungen des Teilungsabkommens verkannt. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Teilungsabkommens sei ein innerer Zusammenhang zwischen Schadensfall und versichertem Haftpflichtbereich. Die Klägerin habe bereits nicht hinreichend dargelegt, dass sich die streitgegenständlichen Stürze jeweils im Pflichtenbereich des Heimträgers ereignet hätten. Dies gelte namentlich unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach davon auszugehen sei, dass der Pflichtenbereich des Heimbetreibers begrenzt sei und dem Heimbewohner eine eigenverantwortliche Lebens- und Risikosphäre verbleibe.
Dieser Rechtsauffassung der Beklagten sei auch das Landgericht Magdeburg in seinem bereits erstinstanzlich von der Beklagten vorgelegten Urteil vom 04.04.2006 gefolgt. Die Beklagte weist darauf hin, dass das Oberlandesgericht Naumburg zwischenzeitlich mit Urteil vom 18.10.2006 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichtes Schwerin abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend weist sie darauf hin, dass sich den von der Beklagten angeführten Urteilen des Bundesgerichtshofes nicht entnehmen lasse, es gäbe einen Pflegefreiraum, innerhalb dessen den Heimträger keine Verpflichtungen träfen. Vielmehr bezögen sich die Ausführungen des Bundesgerichtshofes auf die Frage der Beweislastverteilung. Auf diese komme es aber im vorliegenden Rechtsstreits wegen des Teilungsabkommens gerade nicht an, weshalb es auch keiner Darstellung von Unfallhergängen durch die Klägerin bedurft habe. Im übrigen nimmt die Klägerin, die erstinstanzlich zahlreiche Urteile vorgelegt hat, die ihre Rechtsauffassung bestätigen, auf ihren gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag Bezug.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Haftung der Beklagten gem. § 1 TA bejaht. Die von der Berufung aufgeworfene Frage nach der Auslegung dieser Vorschrift ist mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung dahingehend zu beantworten, dass es für die Anwendbarkeit des TA, welches einen Verzicht nicht nur auf die Prüfung der Schuldfrage, sondern darüber hinausgehend auf die Prüfung der Haftungsfrage enthält, nicht erforderlich ist, dass ein Schadensfall auf einer objektiven Pflichtverletzung des Versicherten (hier: des Heimträgers) beruht. Vielmehr reicht es aus, dass das Schadensereignis seiner Art nach in den Gefahrenbereich fällt, für den der Haftpflichtversicherer Versicherungsschutz zu gewähren hat (vgl. zu inhaltlich übereinstimmenden Klauseln bereits BGH, Urt. v. 16.12.1981, VersR 1982, S. 333, 333; Urt. v. 26.05.1982, VersR 1982, S. 774, 774). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 2 TA und darüber hinaus insbesondere aus einer systematischen Auslegung mit Blick auf § 1 Abs. 3 und Abs. 4 TA. Denn die in § 1 Abs. 3 und Abs. 4 TA enthaltenen Einschränkungen wären entbehrlich, wenn § 1 Abs. 2 TA dahingehend zu verstehen wäre, dass eine auch nur objektive Pflichtverletzung des Versicherten vorliegen muss. Soweit die Vorschrift des § 1 Abs. 4 TA darüber hinaus - offenbar in Anknüpfung an die vorzitierte höchstrichterliche Rechtsprechung - die Anwendbarkeit für den Fall weiter einschränkt, dass ein objektiver Pflichtverstoß nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht vorliegt, kommt diese Einschränkung hier nicht zum Tragen, weil die Klägerin das Fehlen eines objektiven Pflichtverstoßes des Heimträgers nicht unstreitig gestellt hat.
Die Klägerin hat vielmehr bereits erstinstanzlich unwidersprochen dargelegt, dass es sich in allen abgerechneten Fällen um den Sturz pflegebedürftiger Heimbewohner - denen jeweils eine Pflegestufe i. S. v. § 15 SGB XI zuerkannt war - gehandelt hat (Bd. I, Bl. 5 d. A.). Mehr muss die Klägerin nach Sinn und Zweck des TA nicht vortragen. Soweit der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 20.04.2007 an seiner Ansicht festgehalten hat, die Klägerin müsse den objektiven Pflichtverstoß des versicherten Heimträgers für die Anwendbarkeit des TA vortragen, kann diese Auffassung aus den dargelegten Gründen nicht überzeugen. Denn die von den Parteien übereinstimmend gewollte pauschale Regulierung ohne Prüfung der Haftungsfrage würde ausgehebelt, wenn man der Klägerin für die Anwendbarkeit des TA gleichwohl die konkrete Darlegung einer objektiven Pflichtverletzung auferlegen würde. Die Beklagte verkennt - wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt - dass Gefahrenbereich und damit versicherter Haftpflichtbereich i. S. v. § 1 Abs. 2 TA im vorliegenden Fall die grundsätzlich mögliche Haftung des Heimträgers gegenüber den Pflegeheimbewohnern aus dem Heimvertrag und nicht ein vom Risikobereich des Pflegeheimbewohners zu trennender Verantwortungsbereich des Heimträgers ist. Denn zum einen bezieht sich die Regelung in § 1 Abs. 2 Hs 2 TA nicht ausschließlich auf die Haftung von Heimträgern, sondern auf alle Fälle der allgemeinen Haftpflichtversicherung. Zum anderen haben die Parteien bei Abschluss des TA im Jahre 1985 zwar sicherlich die vorzitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Auslegung von Teilungsabkommen berücksichtigt, nicht aber Urteile des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2005 zu Obhutspflichten des Heimträgers.
Das Vorbringen der Beklagten bietet freilich Veranlassung zu dem ergänzenden Hinweis, dass sich auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine andere rechtliche Beurteilung ergibt. Denn die von der Beklagten angeführten BGH-Entscheidungen betreffen die Haftung des Heimträgers gegenüber dem Heimbewohner und dabei insbesondere die Frage, in welchem Umfang Obhutspflichten bestehen und wer für deren Verletzung beweisbelastet ist. Für die Anwendbarkeit des TA ist insoweit jedoch nur von Bedeutung, dass überhaupt Obhutspflichten des Heimträgers gegenüber dem Heimbewohner bestehen. Dies steht auch mit Blick auf die von der Beklagten zitierten BGH-Urteile außer Frage. Denn pflegebedürftige Personen begeben sich gerade deshalb in die Obhut eines Pflegeheimes, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ausreichend für sich selbst zu sorgen. Daß ein pflegebedürftiger Heimbewohner aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes zu Fall kommt und Verletzungen erleidet, stellt daher auch keinen gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverlauf dar. Den Heimbetreiber trifft aus diesem Grunde die vertragliche Nebenpflicht, im Rahmen des Zumutbaren sowie unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Heimbewohner Vorkehrungen gegen derartige Schadensereignisse zu treffen. Es besteht daher die Möglichkeit, dass sich in den Schadensfällen jeweils das typische Haftungsrisiko des Heimträgers verwirklicht hat (ebenso Oberlandesgericht München, Urt. v. 30.04.2004, 25 U 4844/03, Anlageband, Anlage 11).
Im danach eröffneten Anwendungsbereich des Abkommens kommt es auf die Frage, wer für eine Pflichtverletzung des Heimträgers beweisbelastet wäre, nach Sinn und Zweck des Abkommens nicht an. Die Leistungspflicht der Beklagten entfällt auch nicht gem. § 1 Abs. 3 S. 2 TA. Denn eine vorsätzliche Selbstschädigung der Heimbewohner steht jeweils nicht in Rede.
Einwendungen zur Höhe der abgerechneten Positionen hat die Beklagte nicht erhoben.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
IV.
Der Senat hat die Revision gem. § 543 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Wenngleich die Beklagte das streitgegenständliche Teilungsabkommen mittlerweile gekündigt hat, ist nicht auszuschließen, dass es noch in einer erheblichen Zahl von Fällen zur Anwendung kommt, wofür auch die in diesem Rechtsstreit von den Parteien zitierten Urteile anderer Obergerichte sprechen. Zudem hat das Oberlandesgericht Naumburg in seinem Urteil vom 18.10.2006 (Bd. II, Bl. 43 ff. d. A.) eine abweichende Rechtsauffassung vertreten.
Ende der Entscheidung
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